3. Advent - Was Josef seinem Enkel erzählte

... Weißt du, deine Großmutter, die Maria, sie war damals noch eine sehr junge Frau, fast noch ein Mädchen, sie hatte mir den Kopf verdreht, so richtig verdreht.

Wir trafen uns täglich am Brunnen. Ich zog für sie den Eimer aus der Tiefe und füllte ihre Krüge und die der anderen. Ich hätte tausend, zehntausend Krüge füllen können, nur in meiner Nähe wollte ich Maria haben.

Und sie, sie schenkte mir ein Lächeln, mir altem Mann schenkte sie ein Lächeln.

Ist das nicht ein Wunder, lieber Jakob? Ja, es war ein Wunder, und es ist ein Wunder. Ich liebte sie, und sie liebte mich, und irgendwann war uns klar, dass wir zusammenleben und in ein Haus ziehen und Kinder haben wollten. Kurzum: Wir wollten heiraten. Bald war ein Tag gefunden. Auch Marias Eltern waren einverstanden. Das war ein Glück, sage ich dir, ein großes Glück.

Aber eines Tages, da kam etwas, das mich fast zerrissen hätte. Jakob, noch heute, nach so vielen Jahren, ist es schwer, davon zu erzählen. Aber es ist wichtig, es ist alles wichtig. 

Ein gutes Vierteljahr vor unserer Hochzeit kam Maria eines Tages zu mir, nahm meine Hände, blickte mich lange an und sagte dann: "Josef, ich ... Nein, sag jetzt nichts. Bitte!"

Mir wurde elend. Was war das? War ich doch zu alt? Ich zitterte. 

Schließlich sagte sie: "Josef, bitte höre mich an. Ich verstehe das alles selbst nicht. Bitte höre mich nur an!"

Und dann erzählte sie. Und ich hörte und verstand gar nicht. Sie erzählte mir, in einer der letzten Nächte sei ein großes Licht bei ihr gewesen, ganz plötzlich, so, als ob sich der Himmel geöffnet habe, und eine Stimme sei auch da gewesen, die hätte zu ihr gesprochen und etwas gesagt von einem Kind, das sie zur Welt bringen würde, und dass Gott hilft und dass sie eine besondere Frau sei. 

Ach, Jakob, ich dachte, die Erde unter mir bricht ein. 

Ich hörte nur. Kind. Kind! Sie bekam ein Kind!

Ich weiß es noch wie heute. Ich riss mich los und lief hinaus und lief durch die Straßen und durch das Stadttor und schrie in die Wüste hinaus. Ich lief den ganzen Tag und eine ganze Nacht wie ein wildes Tier. Ich warf mich auf die harte, heiße Erde und ballte die Fäuste. "Maria! Maria! Maria!", so rief und weinte und schluchzte ich. 

Du kannst es mir glauben, Jakob. Ich war dabei, die größte Dummheit meines Lebens zu begehen und deine Großmutter zu verlassen. Aber Gott wollte es anders.

In einer der folgenden Nächte träumte ich von einem Engel. Er blickte mich finster an und sagte, nein, er befahl: "Josef, nimm Maria zu dir und heirate sie. Das Kind, das sie zur Welt bringen wird, ist ein besonderes Kind. Es braucht deinen Schutz! Und Maria auch. So hat es Gott gewollt".

Ich erwachte verwirrt. Wieso sollte ich diesem Engel glauben? Gibt es überhaupt Engel? Wer weiß, was mich da im Traum genarrt hatte. Nein, ich wollte nicht. 

Drei Tage brütete ich in meiner kleinen Werkstatt. Drei Tage redete ich mit niemandem, außer mit mir selbst. Aber dann hörte ich doch auf die Stimme meines Herzens. 

Ganz früh am Morgen ging ich zu Maria und sagte zu ihr: "Maria, ich glaube, du solltest dir zu unserer Hochzeit ein weites Kleid nähen."

Sie lächelte, und ich glaube, sie atmete auf. 

Ja, so war das, Jakob. So fing alles an. So begann das erste Weihnachten, bei uns...

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